Bahn-Verhalten.

Bei meiner ersten U-Bahn-Fahrt seit einer halben Ewigkeit – diese Fahrt auf den knallharten Sitzen, u know? – ist mir erneut etwas aufgefallen, was aber schon seit… eigentlich immer ein ungeschriebenes Gesetz unserer Gesellschaft zu sein scheint:

– Ist die Bahn relativ leer, sucht man sich im Idealfall einen Platz, egal ob auf einem 2er oder einem 4er, wo noch niemand sitzt. Man ist ja schließlich lieber „allein“ mit sich selbst, als Bein an Bein mit fremden Menschen unfreiwillig zu kuscheln.
– Ist die Bahn etwas voller, dann wählt man automatisch noch immer einen Platz aus, der einem das Gefühl gibt, dass man anderen Menschen nicht ZU nah kommen muss.
– Und erst, wenn alle Stricke reißen und es echt knackevoll ist, man aber trotzdem gerne sitzen möchte… erst DANN gibt man sich der Tatsache hin, dass es einfach nicht anders geht, als mit einem anderen Menschen auf Tuchfühlung zu gehen. Wobei man sich auch dann noch die größte Mühe gibt, sich so schmal zu machen wie es eben geht, um nur das Muss an Berührung zu vollziehen.

KURZFASSUNG der Sitzordnung in einem öffentlichen Verkehrsmittel:

– Alles frei?
Geil. Freie Platzauswahl.
– Etwas voller?
Geil. Noch genügend leere Plätze frei. Fast freie Platzauswahl.
– Noch voller?
Geil. Da auf dem 4er sitzt nur ein Mensch. Das heißt, ich kann mich diagonal zu diesem Menschen setzen, bin noch weit genug weg und noch vollkommen allein in meinem Tanzbereich. Juhu.
– Voll?
Kacke … ich muss mich direkt neben jemanden auf einen 2er setzen.
– Am vollsten?
Na toll. Natürlich ist nur noch ein Platz frei. Auf einem 4er, am Fenster. Durch die Beine quetschen, hinsetzen, schlank machen und abschalten, bis man angekommen ist.
– Und last but not least:
Stehplatz! 😀

Auf dieser Basis empfindet man es automatisch als komisch, wenn sich in Bus oder Bahn jemand direkt neben einen setzt, obwohl doch noch Hölle viele Plätze frei sind. Wieso tut dieser Mensch das also? Seh ich so gut aus? Wirke ich so sympathisch? Rieche ich gar wunderbar? Irgendeinen Grund muss es geben. Denn wie gesagt … man setzt sich eigentlich so weit weg wie es eben geht, auf jeden Fall aber hält man sich zumindest, wenn möglich, in der Diagonalen auf!!

Ich habe es nicht getan und es ist mir selbst SOFORT aufgefallen!!
Ja, ihr lest richtig. Nicht ich bin dieses Mal diejenige, die sich über das Verhalten anderer Menschen wundert, sondern tatsächlich über mein eigenes! Denn ich habe mich auf einem 4er direkt neben ein junges Mädel gesetzt, welches am Rand in Fahrtrichtung saß. Heißt also, ich setzte mich direkt neben sie ans Fenster, obwohl die Fenster-Diagonale noch frei war!! o.O
Und binnen Sekunden dachte ich so bei mir:

Wie komisch ist das denn? Warum habe ich das getan? Ob  das Mädchen jetzt ebenfalls darüber nachdenkt wie komisch es ist, dass sich gerade tatsächlich ein Mensch direkt neben sie setzt? Dem einzelnen Menschen auf einem 4er, bei welchem doch noch ausreichend Platz zum Ausweichen vorhanden ist?

Ehrlich gesagt waren meine einzigen Erklärungen, die ich für mich selbst finden konnte, die Tatsachen, dass ich lieber in Fahrtrichtung sitze, der 4er direkt bei der Tür war – ich somit an meiner Zielhaltestelle schneller aus der Bahn kam – und die Kleine weder eklig, noch zu breit, noch sonst auf irgendeine Art und Weise abstoßend war, als dass man sich von ihr hätte fernhalten müssen.

Ich fand es nur unheimlich interessant wie schnell mir selbst auffiel, dass ich in jenem Moment gegen ein ungeschriebenes Gesellschafts-Gesetz verstoße, indem ich mich auf einen „falschen“ Platz setzte. Worüber man sich so Gedanken macht und wie wir uns so innerhalb unserer Gesellschaft bewegen ist schon spannend.