Warum haben wir eigentlich so ein unheimliches Problem damit…

… nett zu sein?
Einfach höflich?
Oder gar: Mal etwas Gutes zu tun und anderen zu helfen?

Das habe ich mich gestern mal wieder gefragt, als ich auf dem Weihnachtsmarkt gestanden und einen Orangen-Punsch getrunken hab.

Ich denke, wir sind eine vollkommen verwöhnte Gesellschaft!
Uns geht es verdammt gut.

Dass wir grundsätzlich aber erstmal gar nichts dafür können, vergessen wir sehr gerne mal!

Niemand kann etwas daran ändern wo er geboren wird, welche Eltern er hat und welche Basis er für seinen Lebensweg gelegt bekommt. Klar, irgendwann ist es auch an einem selbst was aus sich zu machen.
In der Regel aber nur dann, wenn man den richtigen Weg zumindest irgendwann mal aufgezeigt bekam.

Das Glück hat aber nicht jeder.
Bei manchen läuft’s einfach schief.
Irgendwann falsch abgebogen oder von Beginn an keine wirkliche Chance gehabt… und ein Leben kann ratzfatz den Bach runtergehen.
Manchmal ist es auch eine Krankheit, die einem Menschen den Boden unter den Füßen wegreißt.

Ich stand also da und nippte an meinem Getränk.
Wie tausende andere Weihnachtsmarkt-Besucher auch.

Dann kam ein alter Mann.

An Krücken, mit einem Ausweis an seiner Jacke und einer Obdachlosen-Zeitung in den Händen.
Wie ihr euch sicherlich denken könnt, haben ihn alle weitergeschickt.
Ich kaufe die Obdachlosen-Zeitung in Dortmund öfter, wenn ich in der Stadt bin.
Aus dem einfachen Grund: Die Menschen tun etwas!
Sie setzen sich nicht mit einem zerknitterten Pappbecher auf die Straße und warten. Und auch unter denen gibt es sicherlich manche, die einfach keine andere Wahl mehr haben.
Ich kann den Gedankengang vieler Leute schon verstehen, dass wir in Deutschland leben. In einem Sozialstaat in dem man denken könnte, dass niemand sich mit einem Becher auf die Straße setzen muss. Aber wissen tut man es nie. Nicht, solange man sich mit den Betroffenen nicht unterhält. Nicht, solange ich die Geschichte zu demjenigen nicht kenne, der mich um Geld anbettelt. Aber wer spricht denn schon mal mit Obdachlosen, Drogensüchtigen, Prostituierten … vermutlich niemand.

Ich habe das durch meinen Job schon öfter getan und muss sagen: Die Meisten waren sehr nett. Egal ob es ein Pärchen war, das unter einer Brücke in Augsburg lebt oder Prostituierte, die damals auf dem Straßenstrich in Dortmund standen. Viele waren sogar unkomplizierter, als manch ein Anzugträger… und freundlicher. Nicht alle, aber die Meisten. Nämlich dann wenn sie gemerkt haben, dass ich nichts Böses will.
Natürlich kann auch ich mich mit so manch einem Leben nicht identifizieren und auch nicht immer verstehen, wie es soweit kommen konnte. Aber eins steht fest: Mit Sicherheit nicht völlig grundlos.

Weiterzugehen, wenn jemand auf der Straße bettelt … das bleibt jedem selbst überlassen.
Die organisierten, aggressiven und kriminellen Bettlerbanden, die alte Frauen und Kinder auf die Straße setzen, lasse ich dabei mal außen vor. Denen gebe ich nämlich auch nichts.

Auch den Mann mit den Zeitungen weiterzuschicken, bleibt jedem selbst überlassen.

Aber WIE manche das tun…
… da muss ich ganz ehrlich sagen, könnte mir der Arsch platzen!!
Muss man unhöflich werden, das Gesicht zu einer Fratze verziehen und bei dem „Nein“ einen Ton an den Tag legen, bei dem echt alles aus ist?
NEIN! Muss man definitiv nicht.
Man kann auch freundlich sagen, dass man nichts kaufen möchte.

Die Deutschen geben jährlich 700 Millionen Euro für ihre Weihnachtsbäume aus.
Für Geschenke, pro Kopf, rund 500.
Und auf dem Weihnachtsmarkt – pro Besuch – vermutlich um die 50 Euro.

Die Zeitung kostet 1,50 Euro…

Man kann nicht jedem helfen.
Man muss auch nicht alles kaufen.
Oder alles verstehen…

… aber einem alten Mann in einem vernünftigen Ton ein „Nein, danke“ entgegenzubringen, sollte doch in unserer verflucht wohlhabenden Gesellschaft kein Problem sein?!
UNSER Problem ist, dass alles für uns viel zu selbstverständlich ist.
Ich selbst schließe mich da auch nicht aus.
Auch ich vergesse immer wieder, wie gut es mir eigentlich geht und könnte durchaus mehr tun und noch häufiger mal was spenden, statt mir in der Stadt den nächsten unnötigen Nippes für meine Wohnung oder die x-te Hose zu kaufen.
Aber ich mache es mir immer mal wieder bewusst.
Und ich kacke keinen Menschen dumm von der Seite an, wenn er 50 Cent verdienen möchte, während ich meinen 3,50 Euro Orangen-Punsch trinke!

Ich habe gemerkt dass er sich gefreut hat, als ich die Zeitung gekauft habe.
Dann hat er mir „Frohe Weihnachten“ gewünscht und ist weitergegangen.
Und überraschenderweise hat ein Paar an unserem Tisch ihm dann auch was gegeben.

Manchmal muss halt nur einer anfangen…